Lern- und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern
Der unterschätzte Einfluss frühkindlicher Reflexe
– und wie Reflexintegration helfen kann
Wenn Lernen schwerfällt – obwohl Dein Kind so viel Potenzial hat
Vielleicht kennst Du das aus Deinem Alltag:
Dein Kind ist intelligent, neugierig und kreativ – und trotzdem gibt es ständig Schwierigkeiten. Unruhe, Konzentrationsprobleme, Auffälligkeiten im Verhalten oder beim Lernen, die nicht nur Dein Kind, sondern oft die ganze Familie belasten.
Schnell stehen Begriffe wie AD(H)S, „Lernschwäche“ oder „Zappelphilipp“ im Raum.
Für viele Kinder bedeutet das Frust, Selbstzweifel und das Gefühl, „nicht richtig“ zu sein. Für Eltern ist es oft eine Zeit voller Sorgen, Hilflosigkeit und offener Fragen.
Doch was, wenn die Ursache nicht im Wollen oder in der Intelligenz liegt – sondern tiefer, im Nervensystem?
Frühkindliche Reflexe – das Fundament für Lernen, Verhalten und Emotionen
Was sind frühkindliche Reflexe?
Frühkindliche Reflexe sind angeborene, unwillkürliche Bewegungsmuster, die vom Stammhirn gesteuert werden.
„Unwillkürlich“ bedeutet: Dein Kind kann sie nicht bewusst steuern oder unterdrücken.
Diese Reflexe entstehen bereits im Mutterleib und begleiten Dein Kind besonders intensiv im ersten Lebensjahr.
Warum sind sie so wichtig für die Entwicklung?
Frühkindliche Reflexe sind keine „Fehlfunktionen“, sondern ein hochintelligentes Entwicklungsprogramm der Natur.
Sie sorgen dafür, dass:
- sich stabile Verbindungen zwischen den einzelnen Gehirnarealen aufbauen
- Bewegungen koordiniert werden können
- Konzentration, Impulskontrolle und Emotionsregulation entstehen
- ein gesunder Muskeltonus, Gleichgewichtssinn und Körperwahrnehmung entwickelt werden
Erst wenn diese Prozesse gut abgeschlossen sind, erreicht ein Kind die sogenannte neuromotorische Reife – eine wichtige Voraussetzung für einen entspannten Schulalltag.
Wenn Reflexe aktiv bleiben – warum Lernen dann so viel Kraft kostet
Jeder der rund 25 frühkindlichen Reflexe hat eine klare Aufgabe.
Sobald diese erfüllt ist, sollte sich der Reflex zurückbilden.
Bleibt er jedoch aktiv, arbeitet das Nervensystem dauerhaft gegen unwillkürliche Bewegungsmuster an.
Das kostet enorm viel Energie – Energie, die dann beim Lernen, bei der Konzentration oder im sozialen Miteinander fehlt.
Mögliche Auswirkungen können sein:
- Schwierigkeiten in Grob- und Feinmotorik
- Probleme in der visuellen, auditiven oder sensorischen Wahrnehmung
- mangelnde Impulskontrolle
- Probleme beim Stillsitzen
- emotionale Überforderung
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Lernblockaden
- eingeschränktes Ausdrucksvermögen
Wichtig: Diese Kinder wollen oft – sie können aber nicht so, wie es von ihnen erwartet wird.
Warum sind heute so viele Kinder betroffen?
Die Gründe sind vielfältig und oft nicht selbst verschuldet:
- belastende Schwangerschafts- oder Geburtsverläufe (z. B. Kaiserschnitt)
- zu wenig freie Bewegung im Säuglingsalter
- zu wenig Bauchlage
- das Überspringen wichtiger Entwicklungsschritte wie das Krabbeln
- langes Liegen in Babyschalen oder Maxi-Cosis
- Einsatz von Lauflernhilfen
All das kann dazu führen, dass Reflexe ihre Aufgaben nicht vollständig abschließen können.
Reflexintegration – sanfte Unterstützung für das Nervensystem
Die gute Nachricht:
Das Nervensystem ist lern- und anpassungsfähig – auch über das Kleinkindalter hinaus.
Die Reflexintegration arbeitet mit gezielten, sanften Reizen, die das Gehirn an frühere Entwicklungsschritte erinnern. Dadurch werden neuromotorische Reifungsschritte nachgeholt, die noch aktive frühkindliche Reflexe nachreifen lassen, sodass sie sich wie vorgesehen sanft zurückbilden können.
Dadurch wird der Weg für willentliche Entwicklungsschritte frei
Historischer Hintergrund
Die Grundlagen gehen u. a. zurück auf die Arbeit von Sally Goddard Blythe, die bereits vor über 40 Jahren begann, den Zusammenhang zwischen Reflexen und Lernproblemen wissenschaftlich zu erforschen.
Auch der schwedische Arzt Harald Blomberg entwickelte bewegungsbasierte Trainings, die bis heute erfolgreich eingesetzt werden.
Wie läuft eine Reflexintegration praktisch ab?
Nach einer ausführlichen Anamnese und neuromotorischen Testung werden die Reflexe betrachtet, die noch Aktivität zeigen.
Die Integration erfolgt über individuell angepasste, sanfte Methoden, zum Beispiel:
- isometrischer Druck
- visuelle, auditive und kinästhetische Reize
- Wahrnehmungs- und Bewegungsübungen
- beidseitige Gehirnhälften-Stimulation
Warum mir dieses Thema so am Herzen liegt
Immer wieder erlebe ich, wie Kinder aufblühen, wenn ihre Entwicklungsgrundlagen gestärkt werden.
Wenn Lernen leichter wird, Selbstvertrauen wächst und Schule nicht mehr nur Stress bedeutet, verändert sich oft das ganze Familiensystem.
Internationale Studien zeigen deutliche Zusammenhänge zwischen aktiven Reflexen und Lern- bzw. Verhaltensauffälligkeiten.
Trotzdem ist dieses Wissen in Deutschland noch wenig bekannt.
Mein Wunsch ist es, Bewusstsein zu schaffen – für Eltern, Erzieher und Lehrer.
Typische Anzeichen für noch aktive frühkindliche Reflexe
Achte einmal darauf, ob Du bei einem Kind Folgendes beobachtest:
- häufiges Stolpern oder Umwerfen von Gegenständen
- auffällige Körperhaltung
- Schwierigkeiten beim Purzelbaum
- ständiges Abstützen des Kopfes
- Verknoten der Beine um Stuhlbeine
- schräg gelegtes Heft beim Schreiben
- Schreiben beginnt mitten auf dem Blatt
- verkrampfte Stifthaltung, sehr starker Druck
- Mitbewegung des Mundes beim Schreiben
Diese Anzeichen sind keine Diagnose, aber wertvolle Hinweise.
📌 Grafikempfehlung:
Checklisten-Grafik: „Anzeichen frühkindlicher Reflexe“
Fazit: Lernen beginnt im Nervensystem
Nicht jedes auffällige Verhalten ist ein psychisches oder erzieherisches Problem.
Manchmal braucht es einfach einen Blick auf die neurologischen Entwicklungsgrundlagen.
Wenn Du das Gefühl hast, dass Dein Kind trotz aller Bemühungen immer wieder an unsichtbare Grenzen stößt, lohnt sich dieser Perspektivwechsel.
Gerne begleite ich Dich dabei, Zusammenhänge zu verstehen und neue Wege zu entdecken.
Weiterführende Impulse
Um sich ausführlich über aktive frühkindliche Reflexe und die Auswirkungen auf das Lernen und Verhalten zu informieren, gebe ich gerne folgende Empfehlungen:
Podcastfolgen von Dr. Stefan Polten:
- https://gesundheit-to-go.de/podcast-episode-85-reflexintegration/#
- https://gesundheit-to-go.de/podcast-episode-128-kinflex/
Buchempfehlungen:
- Christa Sieber und Dr. Carsten Geißler (Kinderarzt): Wieder im Gleichgewicht
- Harald Blomberg: Bewegungen, die heilen
- Sally Goddard Blythe & Thake Hansen-Lauff: Greifen und Begreifen
- Dorothea Beigel: Flügel und Wurzeln