Blog · Lernen / Verhalten · Reflexintegration
Lern- und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern: Der unterschätzte Einfluss frühkindlicher Reflexe – und wie Reflexintegration helfen kann
Warum Kinder heute oft mit Lern- und Verhaltensauffälligkeiten kämpfen
Kennst du das Gefühl, dass dein Kind eigentlich „mehr könnte“, aber trotzdem ständig aneckt? Immer mehr Kinder in Kindergarten und Grundschule zeigen motorische Unruhe, Wahrnehmungsprobleme, Konzentrationsschwierigkeiten sowie Herausforderungen beim Sprachgebrauch, Lernen oder im Sozialverhalten. Häufig sind diese Kinder intelligent – und trotzdem bleibt ihr Potenzial hinter den Möglichkeiten zurück.
Was dann oft passiert: Es gibt schnell Etiketten wie AD(H)S, Lernschwäche oder „Zappelphilipp“. Das kann zu Frust beim Kind führen, zu Hilflosigkeit bei Eltern – und zu Stress in der Klasse. Und manchmal werden Symptome zu früh medikamentös behandelt, bevor die Basisfaktoren wirklich angeschaut werden.
Wichtig: In meiner Arbeit schaue ich ganzheitlich – z.B. auch auf Familiensystem, Schlaf, Stress, Nährstoffe, Haltung, Bildschirmzeiten und Bewegung. Sehr häufig lohnt sich aber zuerst ein Blick auf das Fundament: die neuromotorische Entwicklung und frühkindliche Reflexe.
Frühkindliche Reflexe: Was sie sind und warum sie so wichtig sind
Was sind frühkindliche Reflexe?
Frühkindliche Reflexe sind unwillkürliche Bewegungsmuster, die durch das Stammhirn gesteuert werden. Sie sind biologisch angelegt und helfen in Schwangerschaft, Geburt und im ersten Lebensjahr dabei, Entwicklungsschritte zu ermöglichen.
Welche Aufgaben erfüllen sie?
- Vernetzung im Gehirn: Sie unterstützen den Aufbau stabiler Verknüpfungen zwischen Gehirnarealen.
- Muskeltonus & Haltung: Sie fördern Muskelspannung, Körperwahrnehmung und Gleichgewicht – Basis für aufrechte Haltung.
- Koordination & Wahrnehmung: Sie unterstützen das Zusammenspiel von Augen, Ohren, Körper und Raumorientierung.
Erst wenn diese Prozesse ausreichend störungsfrei ablaufen, erreicht ein Kind eine neuromotorische Reife – eine wichtige Grundlage für einen entspannten, erfolgreichen Schulalltag.
Wenn Reflexe aktiv bleiben: mögliche Folgen für Lernen und Verhalten
Bleiben Reflexe (teilweise) aktiv, muss das Kind häufig unbewusst gegen automatische Bewegungsmuster „ankämpfen“. Das kostet Energie – und kann andere Bereiche mitbelasten.
Je stärker die Restaktivität, desto eher können betroffen sein:
- Grob- und Feinmotorik (z.B. Schreiben, Basteln, Ballspiele)
- Wahrnehmung (visuell, auditiv, sensorisch)
- Impulskontrolle & „Stillsitzen können“
- Emotionsregulation
- Konzentration, Arbeitstempo, Ausdauer
- Planung, Kognition, Ausdrucksvermögen
Anzeichen, die du bei deinem Kind beobachten kannst
Es gibt Hinweise, die auch ohne Fachwissen auffallen können. Sie sind kein „Beweis“, aber ein sinnvoller Anlass, genauer hinzuschauen:
- Tollpatschigkeit / häufiges Umwerfen von Gegenständen
- Schlechte Körperhaltung
- Purzelbaum klappt nicht
- Stützt den Kopf beim Schreiben häufig ab
- Verknotet die Beine um Stuhlbeine
- Heft liegt beim Schreiben stark schräg
- Beginnt in der Mitte des Blattes zu schreiben
- Ungünstige Stifthaltung, sehr viel Druck
- Mund bewegt sich beim Schreiben mit
Warum sind heute so viele Reflexe noch aktiv?
Die Gründe können vielfältig sein – zum Beispiel:
- Schwierige Schwangerschafts- und Geburtsverläufe (z.B. Kaiserschnitt)
- Zu wenig Bauchlage im Babyalter
- Mangelnde Bewegung im Alltag
- Überspringen wichtiger Entwicklungsschritte (z.B. Krabbeln)
- Zu viel Zeit in Maxi-Cosi / Babywippe / Lauflernhilfen
Reflexintegration: ein bewegungsbasierter Ansatz
Reflexintegration setzt an der neuromotorischen Entwicklung an: Über gezielte, meist sanfte Bewegungselemente, Wahrnehmungs- und Koordinationsübungen soll das Nervensystem nachreifen können.
So kann ein Ablauf aussehen:
1) Anamnese & neuromotorische Testung
2) Individueller Übungsplan (kurz & alltagstauglich)
3) Regelmäßige Termine zur Anpassung und Stabilisierung
4) Optional: Gruppentraining in Kita/Schule (tägliche kurze Übungsroutine)
Forschung & Studien: Was ist gut belegt – und wo braucht es mehr?
Die Studienlage ist insgesamt gemischt: Es gibt Hinweise auf Zusammenhänge zwischen motorischer Reife / Persistenz frühkindlicher Reflexe und schulischen Fähigkeiten sowie Berichte über Effekte bewegungsbasierter Programme. Gleichzeitig sind mehr unabhängige Replikationen und größere, methodisch starke Studien wünschenswert.
Ausgewählte Quellen (Startpunkte)
- PubMed-Suche: primitive reflexes + reading
- PubMed-Suche: motor skills + academic achievement + systematic review
- INPP UK – Publikationen: inpp.org.uk/publications
Wenn du mir 3–5 Paper/Quellen nennst, die du wirklich zeigen willst (Titel/Autor/Jahr), setze ich dir die Links exakt auf die jeweilige Journal-/PubMed-Detailseite.
Weiterführende Links
Möchtest du klären, ob Reflexintegration für dein Kind sinnvoll ist?
Wenn du magst, schauen wir gemeinsam auf eure Situation – mit Anamnese, neuromotorischer Testung und einem klaren Plan, der in euren Alltag passt.
Hinweis: Dieser Beitrag dient der Information und ersetzt keine medizinische oder psychotherapeutische Diagnostik. Bei starken oder anhaltenden Beschwerden kann eine ärztliche Abklärung sinnvoll sein.
Über die Autorin:
Birgit Lubos · HP Psychotherapie · Expertin für Reflexintegration · Lerncoach